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Das Boot

Was bewegt einen dazu, mit einer Jolle auf die See raus zu fahren. Diese Frage habe ich mir vor dem ersten Törn gestellt und hatte nach dem Törn noch immer keine richtige Antwort darauf.

Es hatte sich bei mir irgendwie so ergeben. Wie sagt man so schön: das Boot findet zu einem und nicht umgekehrt. Und so war es wohl in diesem Fall. Leider hab ich dann direkt nach dem Kauf die Ostsee für mich als Sommerrevier entdeckt und stand nun vor der Wahl, dass Boot welches zu mir gefunden hatte wieder zu verkaufen, oder etwas draus zu machen. Ich hab mich für Letzteres entschieden und es nur selten bereut, auch wenn ein Kielboot vieles erleichtert hätte...Was aber Flexibilität und Unabhängigkeit angeht ist der Jolli fast unschlagbar...

Eines ist jedoch nach den ersten Törns auch relativ klar geworden: Es ist bei entsprechender Planung und genauer Beobachtung des Wetters, weder fahrlässig noch lebensmüde mit einer gut ausgestatteten Jolle auch relativ geschützte Ostseegewässer zu befahren. Größere Schläge über die offene See zu fahren ist sicherlich nicht ratsam! Die Grenzen lagen bei diesem behäbigen 15-er Jollenkreuzer bei Windstärke 5 und Wellen bis 1,5 m). Alles darüber würde man wohl auch überstehen, aber der Spaß ist dann vollständig beendet (am Schlimmsten ist die kurze, harte Welle). In der dreimonatigen Vorbereitung wuchs auch der Reiz an dem Gedanken etwas zu tun, was nicht jeder machen würden. Es war vorher klar, dass es dazu kommen würde, Grenzen auszuloten (welche es nur aufgrund des Bootstyps gab), sich auf etwas schwer abschätzbares Unbekanntes einzulassen, also ein Abenteuer in jeglicher Hinsicht. Sämtliche Törnberichte und Reiseführer waren ja nur bedingt eine Hilfe, da sie sich ausschließlich auf Kielbote bezogen und immer wieder der Hinweis kam, man brauche eine seefähige Kielyacht für dieses oder jenes Seegebiet.

Also bestand die Notwendigkeit, wenn Jolle, dann extrem ausgestattet, um die Nachteile des kaum (eher gar nicht) seefähigen Bootes soweit wie möglich zu kompensieren. Als Basis diente der schon vorhandene Greif 650 gebaut im VEB Yachtbau Berlin gleich bei mir um die Ecke.

Ich taufte das Boot "Tide2" in Erinnerung an meinen ersten soliden Jolli (ein Eigenbau mit dem ich 2003 das erste mal Rügen rundete). Der Greif 650 bietet ideale Voraussetzungen, da er von außen komplett wasserdicht ist, über eine selbstlenzende Plicht verfügt und durch fest eingebaute Auftriebskörper ein Sinken verhindert werden soll. Des Weiteren ist er in Sandwichbauweise extrem stabil laminiert, alle Mastbefestigungen sind sehr solide ausgeführt und er hat extrem viel Stauraum, sowie einen hohen Freibord. Für eine Jolle in küstennahen Gewässern also schon mal eine gute Basis. Durch diverse Krängungstests auf dem Binnensee bei Sturm wurde klar, dass er schnell anzieht und sich neigt, dann jedoch recht träge und damit stabil eine Menge aushält bis ca. 45 Grad. Dies war in Verbindung mit einem Krängungsmesser schon mal eine wichtige Erkenntnis, welche es galt vor dem Törn zu erringen. Denn wenn er schon auf dem Binnensee nicht zu Händeln war, dann wäre das Unterfangen eh aussichtslos. Hier und da mussten Halterungen und Tauwerk verstärkt werden, der Motor und der Ersatzmotor gecheckt werden, das Problem der sinnhaften Verstauung von 120 Liter Sprit gelöst, ein Pinnenpilot gekauft, ein Bug - und Heckkorb angebracht, sämtliche Seekarten analog als auch digital für den Laptop beschafft werden, BSH - Beleuchtung, Radarreflektor, Ladestation mit Batterie, Feuerlöscher, Verbandskasten, Seenotraketen, Schlauchboot, Handfunke, Ersatzsegel usw. Kurzum nach dreimonatiger Vorbereitung hatte diese Jolle mit einem normalen Jollenkreuzer nur noch wenig gemein. Einziger großer Unterschied blieb der fehlende Kiel, was etwas durch die große Zuladung etwas ausgeglichen werden konnte, welche neben mehr Tiefgang auch deutlich mehr Stabilität brachte. Sie war ansonsten wie eine normale seetüchtige Yacht ausgestattet. Und soviel sei vorab schon gesagt: es war auch nötig, mit einem Daysailer für Binnenseen ist so ein Törn tatsächlich kaum zu machen. Und alles am Boot muß immer in einem voll betriebsfähigen Zustand sein, weil man draußen keine Chance hat irgendetwas zu reparieren.

Als Vergleich und Vorgeschmack für jene die einen ähnlichen Trip planen sei einmal angemerkt: wenn man eine Skala von 1 bis 10 hat, wobei 10 die Aufgabe des Bootes bedeutet (Kentern, Schaden am Boot), hätte man auf einem großen Binnensee wie der Müritz bei Sturm ungefähr Stufe 6-7.
Wir haben uns einige male bei gutem Wind (5+ Bf) auf offenen Seestücken fast durchweg zwischen 7 und 8+ bewegt, was in erster Linie den Wellen geschuldet war. Es ist also manchmal eine harte, Grenzen auslotende und auch körperlich sehr anstrengende Fahrt gewesen. Mit der Zeit wird man jedoch deutlich sicherer im Umgang, lernt die Situationen richtig zu bewerten und die Angst kommt nur selten durch. Richtig Angst hatte ich 1 oder 2 Mal und an diesen Punkten der Reise wurde einem auch schnell klar wie klein und armselig man der Natur ausgesetzt ist. Man hat Respekt, welcher stets vorherrschen sollte. Man sollte sich nie überschätzen!

Wenn mich jemand fragen würde, ob man mit der Jolle auf die Ostsee raus fahren kann würde ich deutlich abraten, wenn man zu wenig Erfahrung mit Jollen in küstennahen Gewässern hat und dazu noch ein schlecht ausgerüstetes Boot, dessen Grenzen man nicht kennt. Es macht definitiv deutlich mehr Sinn mit einem Kielboot die See zu befahren, da sei hier nochmal ausdrücklich drauf hingewiesen! Denn es ist ein großer Nachteil die Wellen nicht zu durchschneiden, sondern immer drauf rum zu patschen. Ich würde und werde es auf alle Fälle wieder tun, da es viele schöne Gewässer in Küstennähe zu entdecken gilt und dafür braucht man nicht immer eine 14m Yacht, welche auch gut für den Atlantik geeignet wäre. Man ist mit der Jolle sehr flexibel (Trailer und flache Gewässer), aber man ist auch sicherlich deutlich mehr dem Wind und der Welle ausgesetzt und jeder noch so kleine Fehler wird nicht verziehen! Vielleicht ist es aber genau das, was es für mich ausmacht. Man ist deutlich näher dran!